Starke Haltung, starkes Krisenmanagement: Purpose als Anker in der Krise

Die Unternehmenswelt und ihre Werte verändern sich. Bis vor einiger Zeit war Profitmaximierung noch ein legitimer Unternehmenszweck. Heute stellt dieser allein oft keine Daseinsberechtigung mehr dar. Vielmehr ist Purpose zum Gebot der Stunde geworden: Unternehmen, die in der heutigen Geschäftswelt bestehen wollen, brauchen einen langfristigen Sinn. Dieser sollte über die Gewinnsteigerung hinaus gehen. Er sollte einen Bezug zur Gesellschaft haben und einen positiven Beitrag zu ihrer Entwicklung leisten. Purpose dient jedoch nicht nur der nachhaltigen Überlebensfähigkeit eines Unternehmens. Er kann insbesondere in Krisensituationen als Anker für ein Unternehmen fungieren und zum Kompass für das Krisenmanagement werden.

Was ist Purpose? 

„Wir wollen der Marktführer in unserer Branche werden!“ – Wir alle kennen solche alten Leitbilder von Unternehmen. Mit Purpose haben die allerdings wenig zu tun. Denn: Beim Purpose geht es nicht um den finanziellen Zweck, sondern vielmehr um den Daseinssinn eines Unternehmens. Der Purpose eines Unternehmens drückt aus, welchen Beitrag die Organisationen für die Gesellschaft leisten will. Gleichzeitig spiegeln sich im Purpose auch die Werte und Haltungen des Unternehmens wider. 

Der Corporate Purpose gibt also an, wofür ein Unternehmen steht, wie es gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben will und in welcher Verantwortungsrolle es sich selbst sieht. 

Deutlich wird das z.B. an den Mission Statements vom Business-Netzwerk LinkedIn („Create economic opportunity for every member of the global workforce.“) oder dem Autohersteller Tesla (“To accelerate the world’s transition to sustainable energy.”). Beide Anbieter fokussieren nicht den Selbstzweck des Verkaufs ihrer Produkte, sondern beschreiben wie sie mit ihrer Arbeit einen positiven Beitrag leisten wollen. 

Warum ist Purpose wichtig?

Auch wir bei PREVENCY® haben formuliert, wofür wir als Unternehmen stehen und was uns antreibt. Warum? Weil wir an sinnstiftende Arbeit glauben. Außerdem sind wir davon überzeugt, dass uns unser Purpose bei der täglichen Arbeit leitet. Insbesondere in schwierigen Entscheidungssituationen. Auch für (potentielle) Mitarbeitende wird ein attraktiver und gelebter Purpose zunehmend wichtiger. Gerade jüngere Fachkräfte wollen lieber bei einem Unternehmen arbeiten, von dessen Unternehmenszweck sie überzeugt sind. Zudem haben aktuelle Untersuchungen herausgefunden, dass ein klar formulierter Purpose das Mitarbeitendenengagement und die Mitarbeitendenzufriedenheit steigert. Wem das noch nicht genügt, dem sei gesagt: Profit follows Purpose. Auch das belegen aktuelle Studien. Unternehmen mit Sinnorientierung generieren rund 20 Prozent mehr Umsatz als vergleichbare Organisationen ohne Sinnhaftigkeit und auch ihr Börsenwert wächst im Schnitt 10 Mal stärker[1][2].

Was hat Purpose mit Krisenmanagement zu tun? 

Im Kontext von (digitalen) Krisen nimmt Purpose eine zunehmend zentrale Rolle ein. Denn nicht nur internen Stakeholder:innen ist der Unternehmenssinn wichtig. Auch Verbraucher:innen legen heute immer größeren Wert darauf, dass sich die eigenen Werte mit jenen von Händler:innen oder Dienstleister:innen decken. Ist das nicht der Fall, kann die Diskrepanz bei Kund:innen schnell zu Enttäuschung oder Empörung führen. So kann ein mangelnder Purpose schnell zum Krisenauslöser und -treiber werden. Hat ein Unternehmen demgegenüber einen klaren Purpose definiert und positioniert sich in der Krise dementsprechend, kann der Unternehmenssinn auch als Krisendämpfer fungieren. Zudem dient er als Kompass für Krisenmanagement-Entscheidungen und die zugehörige Kommunikation. 

Mangelnder Purpose als Krisenauslöser und -treiber

Krisen haben heute vielfältige Auslöser. Mit Blick auf Social Media werden Werte und Haltung jedoch zu einem immer relevanteren Thema. Das wird auch an der derzeit viel diskutierten Cancel Culture deutlich: Organisationen und Personen werden aufgrund ethisch-moralischer Fehltritte boykottiert. Für Unternehmen heißt das: Wer keinen Wertekompass hat, kann schnell in die selbstinduzierte Social Media-Krise geraten. Wird der Verstoß des Unternehmens gegen die Moralvorstellung einer größeren Gruppe öffentlich, hagelt es Kritik. Sie empören sich, treten einen Shitstorm los und rufen im Worst Case zum Boykott auf. Warum? Weil sie von einem Unternehmen schlicht mehr erwarten.  Befeuert wird das Krisenszenario dann von der Empörungsökonomie der sozialen Medien, die eine Eskalation der Situation weiter begünstigt. 

Ähnlich verhält es sich auch in Krisenfällen, die nicht durch mangelnden Purpose entstehen. Gerät ein Unternehmen in die Krise, werden Krisenmanagement-Maßnahme von der Öffentlichkeit auch hinsichtlich ihres Purpose bewertet: Reagiert das Unternehmen in der Krise moralisch richtig? Lautet die Antwort in der Öffentlichkeit „Nein“, verschärft sich die Krise.

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Fall Adidas vom Beginn der Corona-Krise. Das Unternehmen hatte angekündigt, während der Krise keine Miete mehr zu zahlen[3]. Die Reaktion im Netz: große Empörung! Und warum? Weil diese operative Maßnahme mit den allgemein vorherrschenden Vorstellungen von moralisch korrektem und fairem Verhalten kollidierte. Wie viel Gewicht der öffentliche Aufschrei hatte, zeigt die Reaktion von Adidas: Der Sportartikelhersteller entschuldigte sich und setze die Mietzahlungen fort. 

Purpose als Kompass für das Krisenmanagement

Ein klarer Purpose mit entsprechendem Wertekanon hilft, in der Krise schwierige Entscheidungen zu treffen – sowohl operativ als auch kommunikativ. Das gilt insbesondere bei polarisierenden Krisenthemen mit hohem Eskalationspotenzial. Wer bereits vor der Krise einen klaren übergeordneten Purpose sowie Haltungen zu bestimmten Issues definiert hat, dem werden Krisenmanagement-Entscheidungen leichter fallen. Ist man als Unternehmen z.B. auf das umweltbewusste Wirtschaften fokussiert, steht schnell fest, was zu tun ist, wenn man von Lieferant:innen erfährt, die ökologische Ressourcen ausbeuten. Hat man als Unternehmen eine konkrete Haltung zu Themen wie Rassismus oder Sexismus, kann man bei entsprechenden Anschuldigungen o.Ä. entsprechend reagieren und kommunizieren.

Weiterhin läuft auch die Entscheidungsfindung mit einem vorab formulierten Purpose einfacher und schneller ab: Bestimmte Themen müssen nicht mehr im Krisenstab diskutiert werden, denn die Haltung zum Issue steht bereits fest. Die gewonnene Zeit kann dann für die Vorbereitung anderer Maßnahmen genutzt werden. Das kann im Ernstfall zu einem erfolgreicheren Krisenmanagement beitragen.  

Betrachtet man Purpose vor dem Hintergrund der Social Media-Krisenkommunikation werden weitere Vorteile deutlich: Haltung gibt Implikationen wie die Kommunikation im Netz zu gestalten ist. Dazu gehört z.B. die Ansprache, aber auch der Umgang mit themenspezifischen Kommentaren. Der Purpose kann z.B. bei Fragen wie „Werden rechte Kommentare prinzipiell gelöscht? Wie gehen wir mit Beleidigungen um? Wie gehen wir mit Sexismus um? …“ weiterhelfen. 

Mit einer starken Haltung vom Shitstorm zum Candystorm

Im Jahr 2018 braute sich über der Krankenkasse DAK ein (rechter) Shitstorm zusammen. Auslöser war eine Plakatwerbung zum Thema Schwangerschaft, auf dem ein POC-Model zu sehen war. Das Plakat löste einen rechten Shitstorm aus und rechte User:innen bezeichneten das Model u.a. als „Vergewaltiger“. Die DAK nutze die Empörungslawine, um Haltung zu zeigen. Die Krankenkasse entwickelte schnell die Kampagne „#HaltunggegenHassundHetze“ und positionierte sich deutlich gegen Rassismus. Das Ergebnis: Die DAK löste damit einen Candystorm aus und erhielt für die Kampagne sogar mehrere Auszeichnungen. 

Der Fall zeigt sehr deutlich: Wer bei schwierigen Themen in der Krise Haltung zeigt, der kann die Krise abdämpfen und im besten Fall sogar ins Positive umkehren. Selbst wer also vor einer akuten Krise keinen ausgewiesenen Purpose definiert hat, kann durch die schnelle Entwicklung einer Haltung zum spezifischen Krisenfall punkten. An diesem Punkt stellt sich allerdings die Frage: Wie entwickle ich eine Haltung insbesondere in ohnehin schon schwierigen Situationen wie einer Krise? 

Wie entwickle ich eine Haltung – insbesondere in der Krise?  

Einen Unternehmenssinn zu entwickeln, ist ein Prozess und der braucht Zeit. Wir empfehlen daher, sich nicht erst in akuten Krisenfällen mit dem Thema „Purpose“ zu beschäftigen. Wer vorab einen Sinn formuliert hat, der spart in der Krise Zeit und trifft keine vorschnellen Entscheidungen. Wer sich an die Purpose-Definition wagen will, kann dabei die folgenden Fragen als Hilfestellung nehmen: 

  • Was sind die Existenzberechtigung und der Sinn unseres Unternehmens? 
  • Für welche Werte stehen wir ein? Welche Überzeugungen haben wir? 
  • Wie lösen wir welche gesellschaftlichen Probleme?
  • Welchen Mehrwert schaffen wir für unsere Stakeholder:innen? 
  • Welche Themen und Issues sind uns wichtig? 

Haltungsdefinition im Rahmen der Krisenvorbereitung

Ist der Purpose definiert, lassen sich in der Krisenvorbereitung auch Haltungen zu spezifischen Issue-Themen definieren. Dazu müssen Issue-Themen z.B. durch eine Risiko-Analyse identifiziert und eine entsprechende Haltung entwickelt werden. Auch dabei müssen sich Unternehmen einige Fragen stellen wie z.B.: Wie deutlich wollen wir uns positionieren? Wie politisch wollen wir werden? Welche Werte wollen wir wie kommunizieren? Welche operativen Maßnahmen können aus unserer Haltung abgeleitet werden? Themen, Haltungen und Hinweise können dann im Krisenhandbuch festgehalten werden. Tritt eine Krise mit einem speziellen Thema auf, kann dann schnell gefunden werden, wie das Unternehmen zu dem Fall steht und wie es sich positionieren will.

Purpose ist mehr als ein Buzzword

Generell sollte die Führungsebene bei der Entwicklung von Purpose, Werten und Haltungen unbedingt einbezogen werden. Denn: Purpose ist eine grundlegende Entscheidung für die Ausrichtung des Unternehmen. Ist eine Haltung – auch in der Krise – einmal kommuniziert, kann sie später nicht einfach wieder vergessen werden. Das führt im schlimmsten Fall zu massiven Glaubwürdigkeits- und Reputationsverlusten. Hintergrund ist der sog. Reputation-Reality-Gap: Dabei gehen die öffentliche Wahrnehmung der Organisationen sowie die zugehörigen Erwartungen der Stakeholder:innen und das reale Verhalten des Unternehmens auseinander. Es entsteht eine Lücke, die möglicherweise zum nächsten Krisenauslöser werden kann.

Achtung! Selbst in der Krise sollte man sich die Tragweite einer Haltung bewusst machen: Purpose nur in den Blick zu nehmen, weil es gerade das Buzzword schlecht hin ist, ist keine gute Idee. Purpose stellt keine Marketingmaßnahmen dar, sondern muss gelebt und operativ umgesetzt werden. Nur ein ernst gemeinter Purpose kann auch einen positiven Effekt haben – auf das Krisenmanagement, auf die Unternehmensreputation und vor allem auf die Gesellschaft. 

Sie möchten Ihr Krisenmanagement einem Stresstest unterziehen und langfristig an Ihrer Krisenresilienz und -kompetenz arbeiten? Dann ist unser Crisis Readiness Program genau das Richtige für Sie!

Better safe than sorry. 


[1] EY (2017): The Business Case for Purpose. Online unter: https://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/ey-the-business-case-for-purpose/%24FILE/ey-the-business-case-for-purpose.pdf

[2] PWC (2017): Purpose Workplace Study. Online unter:  https://www.pwc.com/us/en/purpose-workplace-study.html

[3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/adidas-miete-corona-101.html