Hartwin Möhrle ist seit über 30 Jahren Krisenberater und Kommunikationsspezialist. Im Interview mit PREVENCY spricht er über die Krisenfähigkeit von Organisationen in der aktuellen Zeit und wie innovative Krisentrainings helfen können, die Krisenbereitschaft von Unternehmen und Institutionen langfristig zu steigern.
PREVENCY: Wir erleben aktuell Krisen globalen Ausmaßes: Klima, Pandemie, Ukraine-Krieg. Wie wirkt sich das auf die Risiko- und Krisenprävention in Wirtschaft und Gesellschaft aus?
Hartwin Möhrle: Fest steht, es wirkt sich aus. Ich erwarte einen Paradigmenwandel in der Risiko- und Krisenprävention. Begonnen hat das bereits mit der Digitalisierung: Handbücher schreiben, Aktionspläne und Sprachregelungen verfassen und einmal im Jahr eine Notfallübung abhalten, das reicht schon lange nicht mehr. Konkret heißt das: Weniger Notfälle üben, mehr Risiken simulieren. Weniger Abläufe schulen, mehr Krisen spielen. Weniger Jahresübungen, mehr Risk & Crisis-Checks bei laufendem Geschäft.
PREVENCY: Wird die Krisenprävention zukünftig also ernster genommen als bisher?
Hartwin Möhrle: Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, lassen uns gar keine Wahl: Die Krisenfähigkeit einer Organisation wird in Zukunft vor allem auch von ihrer inneren Resilienz und Stärke abhängen. Crisis Readiness lautet das Ziel, operativ wie kommunikativ. Da muss noch weit mehr geschehen, als bislang unter dem Begriff Krisenprävention üblich ist.
PREVENCY: Was heißt das konkret? Was genau muss anders werden?
Hartwin Möhrle: Ein Beispiel: Risiken einschätzen und im Krisenfall das richtige tun, gehört mehr als je zuvor zur Basisaufgabe von Führungskräften auf allem Managementebenen. Das impliziert die Bereitschaft, potenzielle Risiken offen und schonungslos zum Gegenstand kontinuierlicher Führungskräftequalifikation zu machen. Was wiederum neue Formen und Formate erfordert, Risiko- und Krisenszenarien „on the fly“, also im normalen Betrieb zu simulieren und ernsthaft durchzuspielen – immer und immer wieder.
PREVENCY: Im militärischen Bereich sind umfassende Konflikt-Simulationen selbstverständlich, weil Teil der Kernaufgabe. Kann das Vorbild für die Wirtschaft, für gesellschaftliche Institutionen generell sein?
Hartwin Möhrle: Ich denke schon, wenn auch in angepasster Art und Weise. Nehmen wir das Thema Cybercrime: Ob Unternehmen, Stadtwerke oder Krankenhäuser, wir müssen uns intensiv auf cyberkriminelle Akteure und Aktivitäten vorbereiten. Oder der Umgang mit Fake News und gezielter Desinformation als Teil kommunikationsstrategischer „Kriegs“-Führung. Dazu braucht es noch nicht einmal ausgewachsene Despoten. Engagierte Querdenker oder böswillige Wettbewerber reichen da völlig aus.
PREVENCY: Welche Auswirkungen hat das auf Methodik und Inhalte präventiver Trainingsformate?
Hartwin Möhrle: Die digitalen Möglichkeiten eröffnen gänzlich neue Trainings- und Erfahrungsräume. Wir können realitätsnahe Szenarien schaffen und darin eintauchen, Krisen und deren dynamische Verläufe simulieren, Lösungen ausprobieren, Fehler machen und Fehler korrigieren. Das alles wird Teil eines eng an die tatsächliche Lage angelehnten, sehr ernsthaften Spiels. Die Stichworte lauten: Virtuelle Realität, Serious Risk Gaming und Immersion. Es geht um professionelle Simulation von antizipierter Wirklichkeit als Teil der täglichen Managementverantwortung.
PREVENCY: Vielen Dank für das Gespräch!