Was ist eine Desinformationskampagne?

Die Flut der digitalen Informationen

Hast du schon gehört, dass…? Ich habe bei Social Media gelesen, dass…. So oder so ähnlich fangen viele unserer Gespräche an. Wir tauschen uns mit unseren Freund:innen, unseren Familien und unseren Kolleg:innen aus. Wir teilen Informationen, wir diskutieren und wir bewerten. Und das Tag für Tag. Denn: Wir werden überrollt. Überrollt von Informationen – vermehrt auch über die sozialen Netzwerke. Und diese sozialen Netzwerke haben eine enorme Einflussnahme auf unseren Nachrichtenkonsum. Denn: In Deutschland informieren sich im Jahr 2020 37 Prozent der Menschen über Social Media – 2013 waren es nur 18 Prozent (Reuters Institute 2020). Demnach ist das Internet neben dem Fernsehen zur meist genutzten Nachrichtenquelle in Deutschland geworden.

Aber was ist, wenn die konsumierten Informationen gar nicht wahr sind? Was ist, wenn uns über Social Media absichtlich Lügengeschichten aufgetischt werden? Was ist, wenn die Reputation von Personen, Institutionen oder Unternehmen durch Dritte systematisch und organisiert durch gezielte Falschmeldungen diskreditiert oder zerstört werden sollen? Dann ist die Rede von Desinformationskampagnen. Was das genau ist, wer dahintersteckt und wie sich vor allem Unternehmen davor schützen können, erklären wir hier.

Was ist eine Desinformationskampagne?

Eine Desinformationskampagne ist ein gezielter, organisierter Informationsangriff auf ein Unternehmen, eine Partei, eine Institution oder eine Einzelperson, wobei eine Vielzahl von nachweislich falschen oder irreführenden Informationen (Desinformationen) veröffentlicht werden, die zum Zweck der Manipulation dienen und vorsätzlich im großen Stil verbreitet werden. Im wirtschaftlichen Kontext können so unter anderem Aktienkurse manipuliert, dem Image von Produkten geschadet oder aber die Reputation eines Unternehmens vollständig zerstört werden. Durch die Präsenz von insbesondere sozialen Medienplattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter wird die Verbreitung unternehmensschädigender Inhalte heutzutage simplifiziert. Algorithmen, Social Bots oder Künstliche Intelligenz bilden dabei die technologische Grundlage für die Verbreitung von Desinformationen.

Wie funktionieren Desinformationskampagnen?

Emotionen, Wahrheit und Wiederholung. Das sind die drei Säulen auf denen jede Desinformationskampagne aufbaut.

1. Emotionen

It’s all about emotions. Durch polarisierende und negative Inhalte versuchen die Angreifer:innen die Stakeholder:innen zu verunsichern, verärgern und verängstigen. Dabei führt die starke Emotionalisierung dazu, dass anderen Informationen weniger Raum gegeben wird oder sie ganz ausgeblendet werden. Desinformationen spielen also mit negativen Emotionen. Und das ist klug, denn unser Gehirn ist viel anfälliger für negative als für positive Nachrichten. Dieses Phänomen nennt sich Negativitätsbias (oder Negativitätseffekt) und erklärt den Fakt, dass wir uns eher zu negativen Nachrichten hingezogen fühlen und diesen ebenso mehr Aufmerksamkeit schenken.

2. Wahrheit

In der Wahrheit liegt die Kraft – auch in Desinformationskampagnen dürfen wahre Fakten nicht fehlen. Das klingt jetzt erst einmal abstrus, aber Desinformationsangriffe basieren auf der Vermischung wahrer Fakten und falschen Informationen. Das hat den Effekt, dass der verbreitete Inhalt mehr Glaubwürdigkeit erfährt, da die Inhalte den Nutzer:innen bekannt vorkommen und so eher als ‚wahr’ empfunden werden.

3. Wiederholung

Wieder und wieder und wieder – das ist der Schlüssel zum Erfolg. Denn: Desinformationskampagnen leben von der Wiederholung. Angreifer:innen wiederholen die Falschinformationen und das entworfene Narrativ. Die ständige Wiederholung führt dann zu einem Gewohnheitseffekt, der zur Folge hat, dass sich die entworfene Story etabliert und Stakeholder:innen anfangen sie zu glauben und das nur, weil sie regelmäßig mit ihr konfrontiert werden.

Der Metro-Bankansturm als Beispiel

Desinformationskampagnen entspringen nicht der Fantasie. Sie sind real und können großen und vor allem schnellen (wirtschaftlichen) Schaden anrichten. Das zeigt beispielhaft der Ansturm auf die britische Metro-Bank aus dem vergangenen Jahr. Da verbreitete sich über WhatsApp das (falsche) Gerücht, dass die Metro-Bank in finanziellen Schwierigkeiten stecke. Die Bank reagierte und dementierte das in Umlauf gebrachte Gerücht. Das Dementieren hatte allerdings letztlich nicht den gewünschten Effekt, da unzählige Kund:innen der Bank ihre Konten auflösen und das Geld von der Bank nehmen wollten. Als Folge verzeichnete die Metro-Bank einen Aktienkursfall von ganzen 11 Prozent.

Nach welchem Schema laufen Desinformationskampagnen ab?

Schritt 1: Planung

Angreifer:innen bereiten eine Desinformationskampagne vor oder kaufen eine im Dark Net auf dem Disinformation-as-a-Service-Markt ein.

Schritt 2: Implementierung

Angreifer:innen verbreiten die Inhalte der Kampagne im Netz u.a. via Websites, Messengerdienste, Social Media oder Influencer:innen.

Schritt 3: Menschliches Engagement

Reale Personen interagieren mit dem verbreiteten, rufschädigendem Inhalt via Kommentare, Likes, Shares etc..

Schritt 4: Sharing und Übernahme

Gruppierungen wie u.a. Verschwörungstheoretiker:innen oder politische Gruppen machen sich das entworfene Narrativ zu eigen.

Schritt 5: Entwicklung der Story

Die Story wird größer und größer – wie ein rollender und dabei wachsender Schneeball, wobei die Angreifer:innen die Story zudem immer weiter fördern und anfüttern.

Wieso bieten sich Social Media-Plattformen für Desinformationskampagnen an?

Seit dem Aufkommen der sozialen Medien werden diese nicht nur genutzt, um die Welt ein bisschen besser zu machen, sondern ebenso um Menschen und Unternehmen das Leben zu erschweren. Das Social Web wird also zu einem Megafon für jede:n, der Nutzer:innen erreichen möchte. Und das ganz einfach: Jede:r hat einen Zugang und kann unbeschwert mit dem Smartphone, Laptop oder Tablet falsche Informationen verbreiten oder manipulieren und so andere Nutzer:innen von der eigenen Agenda überzeugen. Wenn dieses Megafon allerdings u.a. von Bedrohungsakteur:innen wie z.B. Einzelpersonen, Lobbygruppen oder Unternehmen genutzt wird, die sich zum Ziel gemacht haben, eine Unternehmensreputation durch die gezielte Streuung von Desinformationen zu zerstören, wird es sehr kritisch.

Dabei sollte bedacht werden, dass die Verbreitung von Desinformationen kein neuartiges Phänomen ist, sondern schon immer zu Propaganda- und Manipulationszwecken genutzt wurden. Durch die sozialen Medien hat sich nur die Art und Weise wie eben diese verbreitet werden und vor allem die Reichweite, die sie erreichen können, verändert. Aufgrund der vermehrten Streuung von Desinformationen in sozialen Medien konnten in der Vergangenheit vor allem zwei Effekte erkannt werden: Zum einen wird die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Informationen (in den sozialen Medien) insgesamt immer schwieriger, da es immer mehr Informationsquellen gibt. Zum anderen führt die Neigung der Menschen, gleichdenkenden Personen auf Social Media zu folgen, zur Schaffung von Echokammern und Filterblasen, die eine Polarisierung noch verstärken. Denn innerhalb isolierter sozialer Gruppen gibt es keine widersprüchlichen Informationen, die den dort geteilten Desinformationen entgegenwirken könnten.

Außerdem bietet die Struktur der sozialen Medien einen direkten Kommunikationskanal. Denn: Zwischen Verfasser:in und Verbraucher:in steht kein:e Vermittler:in. D.h., dass jede:r Nutzer:in die Möglichkeit hat in den sozialen Medien selbst zum oder zur Verfasser:in zu werden – ohne dass der Inhalt geprüft oder die Veröffentlichung reglementiert wird. Diese ungefilterte Informationsweitergabe birgt somit auch Gefahren – gerade, wenn über die Streuung von Desinformationen systematisch und organisiert versucht wird, Unternehmen zu schaden oder sie gar ganz zu zerstören.

Social Media-Plattformen werden für den Nachrichtenkonsum immer wichtiger. Rund 30 Prozent der befragten 18- bis 24-Jährigen sehen die sozialen Medien als wichtigste Nachrichtenquelle.

Reuters Institute 2020

Wer steckt hinter Desinformationskampagnen?

Hinter Desinformationskampagnen können reale Menschen wie unzufriedene (Ex-)Mitarbeiter:innen, Konkurrenzunternehmen, Lobbygruppen, Trolle[1], beauftragte zwielichtige PR-Firmen, Kriminelle oder aber auch von Menschen eingesetzte Computerprogramme wie Social Bots[2] stecken. Denn im Zeitalter des Social Webs braucht es kein großes IT-Know-how mehr: jede:r kann Desinformationen streuen – ob aus persönlichen oder aber wirtschaftlichen Gründen. Besonders gefährlich für Unternehmen wird die Verbreitung von Desinformationen, wenn sie mutwillig, vorsätzlich, organisiert und zum Zwecke der Manipulation im großen Stil geschieht.

Ab 40 USD/Monat – so viel kostet die Anmietung eines Bot-Netzes im Dark Net oder die Anschaffung von 1000 Twitter Fake-Profilen.

Dann kann von sog. Desinformationskampagnen gesprochen werden, die ein ganz neues Geschäftsmodell eröffnet haben. Die Rede ist von dem sog. Disinformation-as-a-Service-Markt (kurz: DaaS), auf dem eben solche schadhaften Kampagnen über das Dark Net gekauft werden können. Ohne großen Aufwand und für nicht allzu viel Geld kann heutzutage also die Verbreitung von reputationsschädigenden und falschen Inhalten gekauft werden.

Einen Fake News Artikel bekommt man auf dem Disinformation as a Service-Markt schon ab 15$ pro 1000 Zeichen. Einen Social Media-Post schon ab 8$ pro 1000.

Recorded Future

Wie können Desinformationskampagnen einem Unternehmen schaden?

Obwohl es generell schwierig ist, die volle Wirkungsweise von Desinformationskampagnen zu identifizieren, ist es klar, dass sie eine Wirkung haben. Und die ist für betroffene Unternehmen nicht positiv.

Jedes vierte Unternehmen war bereits von Desinformationsangriffen auf die eigene Reputation betroffen.

Deloitte 2019

Auf kurze und lange Sicht können gezielte Desinformationskampagnen

  • …emotionale Reaktionen auf besonders aufsehenerregende Themen hervorrufen und ausnutzen, wodurch sich Desinformationen schneller verbreiten als seriöse, wahre Nachrichtenbeiträge.
  • …Gesundheitsrisiken erhöhen, da Desinformationskampagnen vor allem in der Gesundheitsbranche zur Änderung von Ernährungsgewohnheiten, zur Einführung von nicht wissenschaftlich geprüften Behandlungen sowie zu Misstrauen gegenüber dem Fachpersonal führen kann.
  • …Aktienkurse einstürzen lassen.
  • …die Reputation, das Image und das Vertrauen in Einzelpersonen oder Unternehmen nachhaltig schädigen, auch wenn sich die (Des)Information im Nachhinein als falsch erweist.
  • …die Grenzen zwischen wahren und falschen Informationen über ein Unternehmen verwischen. So werden beispielsweise legitime Informationsquellen imitiert, sodass es den Nutzer:innen schwerfällt, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden.
  • …das Image eines Unternehmens in der Außenwahrnehmung manipulieren.

Desinformationen kosten die Weltwirtschaft jährlich 78 Mrd. Dollar.

CHEQ 2019

Combating Disinformation – Wie können Desinformationen bekämpft werden?

Die Verbreitung von Desinformationen in Social Media ist zu einem riesigen Phänomen, aber auch Problem geworden. Im medialen Diskurs wird deshalb vermehrt auch von einer sog. Desinformationskrise gesprochen. Die Folgen dieser Krise sind derzeit noch nicht absehbar. Klar ist aber, dass die Nutzer:innen zukünftig weniger Vertrauen in verbreitete Informationen setzen werden, da es durch die Aufmachung der publizierten Desinformationen viel schwerer wird, Fakten von Fiktion zu trennen. Der beste Schutz vor Desinformationskampagnen ist daher im ersten Schritt eine gut informierte und vor allem medienkompetente Öffentlichkeit. Dieser utopischen Vorstellung sollte man sich allerdings im Jahr 2020 noch nicht hingeben.

Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist es von enormer Wichtigkeit, Desinformationen den Kampf anzusagen, sich ihnen mit Vehemenz entgegenzustellen und ihnen den digitalen Lebensraum nicht zu überlassen. Ihr Unternehmen wird es Ihnen danken.

Was Sie tun können:

1. Verschließen Sie nicht die Augen. Sie sind nicht immun gegen Desinformationskampagnen!

  • Wenn Sie glauben, dass Desinformationskampagnen nur von ausländischen Wahlmanipulierer:innen genutzt werden, denken Sie zu kurz. Auch Ihr Unternehmen kann betroffen sein. Bereiten Sie sich deshalb auf Desinformationsangriffe vor.

2. Fördern Sie das Verständnis Ihrer Mitarbeiter:innen für das Ausmaß von Desinformationskampagnen.

  • Gerade die Früherkennung ist besonders wichtig, denn ist der Stein erst einmal ins Rollen gebracht, ist es schwer, sich ihm in den Weg zu stellen
  • Mitarbeiter:innensensibilisierung, Monitoringmaßnahmen und Medienbeobachtung sollten bedacht werden.

3. Entlarven Sie Desinformationen und füllen Sie Informationslücken.

4. Überzeugen Sie Ihre Kund:innen mit Vertrauen, Wahrheit und Transparenz.

5. Handeln Sie präventiv.

  • Erstellen Sie einen Plan für den Umgang mit Bedrohungen, die sich gegen Ihr Unternehmen, Sie oder Ihre Mitarbeiter:innen richten, denn die Bedrohungen bleiben nicht in der digitalen Welt, sondern wirken sich ebenso auf Ihre Offline-Welt aus.
  • Stellen Sie deshalb Schulungen und Ressourcen für die proaktive Bekämpfung bereit
  • Entwerfen Sie ein ausgefertigtes Reputations- und Risikomanagement

6. Holen Sie sich einen starken Partner an Ihre Seite.

Sie möchten Ihre Bereitschaft für den Umgang mit digitalen Risiken und Krisen langfristig steigern? Dann könnte unser Crisis Readiness Program das Richtige für Sie sein!

Better be safe than sorry.


[1] Trolle sind reale Personen, die aus verschiedenen Gründen im Social Web mit ihren Beiträgen provozieren und Diskurse stören. Dabei erwarten Trolle vermehrt eine Reaktion von anderen Nutzer:innen.

[2] Social Bots sind Social Media-Profile, die sich als reale Personen ausgeben, aber teilweise oder komplett automatisiert handeln. Hinter Social Bots stehen Personen oder Organisationen, die mit Hilfe der automatisierten Profile verschiedenste Inhalte schneller verbreiten und somit mehr Aufmerksamkeit generieren wollen. Ein großes Problem ist, dass sich Social Bots tarnen und es demnach schwer ist, diese zu identifizieren.